Von Riga nach Gotland sind es etwa 180 Seemeilen, d.h. bei einer guten Geschwindigkeit mit TROLL 36 Stunden. Dies wiederum bedeutet eine Nacht durchsegeln müssen. Da die dringend benötigte Tankstelle erst um 10:00 Uhr öffnet, ist die ETA (Estimated Time of Arrival) für 22:00 am Folgetag in Fårösund geplant. Es werden gefühlte 40 Stunden, denn einige waren so strapaziös, dass sie doppelt zählen.
Die Bedingungen sind zu Beginn ideal: Süd um 3 Bft. In der Daugavamündung setzen wir sofort den Blister und gehen für 65 sm auf Kurs 315° zur Landspitze mit dem Leuchtturm Kolka.
Wie es sich für eine Kreuzfahrt gehört, sitzen wir mit einem kühlen Getränk unter dem Sonnensegel und lesen, während uns der Autopilot mit 4,5 km dem Ziel entgegen steuert.
Mit Sonnenuntergang nimmt der Wind ab. Der Blister wird geborgen und das frisch gezapfte Diesel übernimmt den Vortrieb.
Als wir um 2:00 am Leuchtturm Kolka den Kurs auf SW ändern, ist der Wind aufgelebt. Wir setzen Segel und wir laufen mit 5.6 kn am Wind durch die Irbenstraße zwischen Saarema und Kurland. Hier ist viel Schiffsverkehr.
Im AIS taucht MEIN SCHIFF 6 auf und und wenig später passiert es uns voll beleuchtet mit geringem Abstand auf dem Weg nach Riga. Es macht die 8-Tage Ostseekreuzfahrt Kiel, Danzig, Visby, Riga, Tallinn, Helsinki, Stockholm, Kiel. Tagsüber werden die Passagiere duch die Städte geschoben, nachts fährt das Schiff weiter. In Riga lagen schon die EUROPA und die VOYAGER OF THE SEAS, die auf ähnlicher Route kreuzen. St.Petersburg fällt zur Zeit aus gegebenem Anlass aus. Da ist mir mein Schiff TROLL doch lieber und nachts fahren können wir auch.
Gegen 5.00 ist wieder Wachwechsel und Barbara geht in die Koje. Der Morgen dämmert und wie vorhergesagt briest es immer weiter auf. Wir reffen. Mittags weht es mit 10,5 m/sec entsprechend 5-6 Bft. Wir haben 2 Reffs in Großsegel und Fock und laufen weit über 6 kn. Die Welle ist unangenehm und wir müssen von Hand steuern.
In der Ferne sichten wir einen Großsegler. Es ist die SEDOV, gebaut 1921 als MAGDALENE VINNEN II, ein Schulschiff im Besitz der Technischen Universität Kaliningrad. Bis vor der Annexion der Krim war es überall bei Hafentagen dabei und gerne gesehen. Jetzt macht es nur noch Trainingsfahrten vom Heimathafen aus und motort gerade mit 8,6 kn gegen den Wind wieder zurück nach Kaliningrad.
Noch 11 sportliche Stunden bis Fårösund. Beim der Ansteuerung hat das iPad keinen Strom mehr, ein Regenschauer läßt die Leuchtfeuer verschwinden und wir steuern den Marinhamn an, in der Annahme es sei die Marina. Merkwürdig, dass nur ein weiteres Boot in dem Hafen ist, aber das ist uns jetzt egal: die Koje ruft.
Bei Sonnenlicht am Morgen ist die Sache klar: Wir sind im Hafen der Marine gelandet und haben die Schilder "Anlegen verboten" in Dunkelheit und Regen sowie den Hafen neben der Fähre schlicht übersehen. Wir legen um in den Fischerei- und Gästehafen, kaufen ein und machen Pläne, wie wir den Nachmittag bei immer noch reichlich Wind verbringen könnten.
Mit der Fähre setzen wir zur Insel Fårö über und radeln 20 km zu den Rauka von Langhammars.
Die Landschaft ist karg mit einzelnen Kiefernwäldern und steinernen Mühlen. Die Insel hat sich, befreit vom Gewicht der Eismassen, seit der Eiszeit vor 12.000 Jahren um 10 m gehoben. In dieser Zeit hat das Meer aus dem Kalkstein der Küste bizarre Skulpturen geformt, die "Rauka". Einige haben Gesichter, als ob sie vonTony Cragg geschaffen worden wären.
Auf der Rückfahrt mit zusammengeklappten Rädern im Bus um 22.02 sind wir uns einig: Der Ausflug hat sich gelohnt.
Sonntag, 7. August 10:00. Der Wind ist auf 4 Bft abgeflaut. und wir brechen auf mit Ziel Visby. Als wir den Sund verlassen, dreht der Wind von W immer mehr auf SW. Da wollten wir eigentlich hin! Und so werden die folgenden Stunden zur Kreuzfahrt. Mit 12 Schlägen bei einer kurzen Welle, die TROLL so gar nicht mag, legen wir 34 sm durchs Wasser zurück etwa 60% mehr als die tatsächliche Strecke. Wir erreichen gegen 19:00 Lickershamn. In der Nähe sind am Ufer die höchsten Rauka von Gotland, die Jungfrun. Es müssen einsame Seemänner gewesen sein, die nach Wochen auf See überall Jungfrauen gesehen haben.
Der kleine Fischerhafen ist malerisch, allerdings bei Westwinden sehr unruhig, wie wir in dieser Nacht erleben. Der Schwell trifft genau TROLLs Resonanzfrequenz. Während die anderen Schiffe vergleichsweise ruhig liegen, schwankt unser Boot wie besoffen 20° nach jeder Seite. Ich verlasse die warme Koje und spanne eine Leine vom Mast zum Kai. So kann TROLL sich nicht mehr aufschaukeln. Um mit Wilhelm Busch zu sprechen: "Onkel Fritz hat seine Ruh und macht beide Augen zu".
Als ich die Augen wieder aufschlage herrscht Sonne und schöner Westwind. Ideal um ganz relaxed die verbliebenen 15 cm nach Visby zu segeln.
Visby ist eine alte Hansestadt und wir platzen in die Mittelalterwochen. Die Stadt mit ihrer vollständig erhaltenen Mauer und 11 Türmen ist die perfekte Umgebung für so ein Event, zu dem Mittelalterfans aus aller Welt anreisen.
Überall verkleidete Menschen und ein großer Mittelaltermarkt schaffen eine unglaubliche Atmosohäre. Man macht eine richtige Zeitreise,
Neben uns liegt die ALEXA, ein Boot aus Rostock, das vom jungen aber bereits sehr erfahrenen Emanuel einhand gesegelt wird. Bei ihm ist heute Waschtag. Gute Idee, wir könnten auchmal wieder einiges auffrischen, denn auf so einer Kreuzfahrt braucht man natürlich angemessene Garderobe, zumal wir heute Abend Konzertkarten für "Game of Drones" eine Mittelaltergruppe haben.
Das Konzert findet in einer der vielen Kirchenruinen statt, St Nikolai. Die Stimmung ist unvergleichlich. Die Band ist hervorragend und besteht aus 5 mittelalterlich gekleideten Musiker*innen, die in unterschiedlicher Kombination Harfe, Geige, Leier, Cello, Dudelsack, Flöte spielen und singen, Auch wenn wir die Ansagen nicht verstehen, die das Publikum immer wieder erheitern und zum Mitmachen animieren. Bei "The Wellerman", einem Shanty aus Neuseeland, das von Nathan Evans auf TikTok bekannt geworden ist, singen alle mit. Ein toller Abend.
Der Besuch von Visby war sicher einer der Höhepunkte unseres Törns und zusammenfassend kann ich nur feststellen:
Morgen bringt uns TROLL weiter westwärts nach Öland ~~~~~¿~~~~. >>(((((o> ~~